Entstehung des linken Flügels
von dem Diptychon
„Liebe in Zeiten der Corona“, Diptychon, je 30x60cm,
Assemblagen in Acrylmischtechniken, 2020
„Nichts in der Welt ist schwieriger als die Liebe“
„Hab keine Angst. Gott wartet schon an der Türe auf dich.“
„Habe ich einen ähnlich klingenden Buchtitel nicht schon einmal gehört?
Natürlich ist es naheliegend zu fragen, ob es Parallelen gibt zu dem nahezu gleichlautenden Buchtitel „Liebe in Zeiten der Cholera“ des kolumbianischen Literaturnobelpreisträgers Gabriel Garcia Marquez.
Als ich das Bilderpaar „Liebe in Zeiten der Corona“ hinter meiner Schlafzimmertür meiner Dienstwohnung in Geldern aufhänge und ich es dann aus einiger Entfernung betrachte, steigt so ein Gefühl in mir auf, dass es sich um ein besonderes Werk handelt, wenn nicht sogar ein Schlüsselwerk (Vollständig betrachten kann man das Werk auch nur, wenn die Zimmertür geschlossen wird).
Warum ist das so?
Manche Aspekte ikonographischer Bildbetrachtung erschließen sich bei mir nicht beim unmittelbaren Gestalten, sondern oft erst nach der Fertigstellung. Das ist ein interessantes Phänomen und unterscheidet sich grundlegend von der traditionellen Malerei, die ja eher an der naturgetreuen Wiedergabe von Bildgegenständen mit mehr oder weniger hohem Ikonizitätsgrad oder an planvollen Bildkompositionen interessiert ist.
Das Werk „Liebe in Zeiten der Corona“ ist eines der ganz wenigen in meinem Werklauf, das in nur einem Arbeitsgang erstellt wurde. Das ist insofern bei diesem Diptychon bemerkenswert, weil es an zwei aufeinander folgenden Tagen angefertigt ist, also zwei Einzelbilder, die bewusst als Bilderpaar konzipiert sind und wenigstens an einer Stelle ein verbindendes Bildelement aufweisen soll, um sie bei der Hängung als inhaltlich und formal zusammenhängend wahrnehmen zu können. Der linke Teil entsteht am Ostermontag 2020, und der rechte Teil einen Tag später. Ansonsten gibt es keinerlei Vorüberlegungen zu diesem Werk, einzig die Vorahnung, dass es durch die besondere Dynamik in der der corona-zeit, etwas zum Vorschein bringt, was bislang eher unter der Oberfläche des Bewusstseins angesiedelt ist.
Farblich ist das Werk stark reduziert auf nur wenige Farbtöne: Olivgrün, Umbra, Elfenbein und Titanweiß. Die Farbgebung ist orientiert an den Farben, die auch in der Birkenrinde enthalten sind, dem Ausgangsmaterial für die Assemblage, ein Kunstwerk, bei dem leicht erhabene Materialien in die Malerei integriert werden. Bis zu 4 cm strecken sich hier die plastischen Objekte der Birkenrinde dem Betrachter entgegen. Man kann auch sagen, es handelt sich um eine reliefartige Collage.
Formal ergänzen sich beide Bilder aufgrund der gleichen Maße der Leinwände, der gleichen Malweise als auch in der Farbgebung, wobei im oberen Bilddrittel die angestrebte Verbindung zwischen beiden Werken hergestellt wird durch das breite, olivgrüne Farb-Band.
Jedes Bild steht für sich, so wie in der Corona-Zeit zu den Mitmenschen ein Mindestabstand eingehalten werden soll, um eine Virus-Infektion zu vermeiden. Die Größe der Leinwände ist so bemessen, dass jedes Bild für sich genommen einen Ausschnitt einer freistehenden Birke darstellt. Der Abstand zwischen beiden Bildern ist jedoch bewusst gering gehalten als künstlerisches Element. Hier geht es nicht darum, symbolisch den Abstand im richtigen Größenverhältnis abzubilden, sondern um die verbindende Absicht, die sich hinter der Anstandsregel verbirgt: Nämlich, dass wir Abstand halten, weil wir einander schützen wollen. Um langfristig Nähe halten zu können, müssen wir kurzfristig auf Nähe verzichten. Diese Ambivalenz ist Ausdruck für den verringerten Abstand bei der Hängung.
Es sind zwei lineare Kompositionsachsen deutlich erkennbar: Das olivfarbene Band in der Horizontalen, das sich waagerecht durch beide Bilder zieht, und der Abstand als Zwischenraum in der Vertikalen. Der nicht gestaltete Zwischenraum wird also selbst zum Gestaltungselement.
Wenn man nun beide Kompositionslinien übereinander legt, entsteht die Kreuzform, genauer gesagt das Lateinische Kreuz, bei dem der Querbalken kürzer und nach oben verschoben ist (Es handelt sich um die übliche Kreuzform bei der Darstellung der Kreuzigung).
In der Auslegung steht diese Symbolik in der Tradition von Piet Mondrian, der vor ca. 100 Jahren seine Abstraktionsstrategien verfolgte (abgeleitet aus den Geistesströmungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts) und radikal Formen auf senkrechte und waagerechte Linien und die Farben auf die drei Grundfarben in Kombination mit Schwarz und Weiß herunterbrach. Für ihn entsprach die vertikale Achse des Kreuzes als Symbol der aktiven, den zur Höhe strebenden Bäume eines Waldes, also des männlichen Prinzips verstanden, während die horizontale Achse den passiven Kräften des Wassers, also dem weiblichen Prinzip entspricht. Im rechten Winkel erkennt er ein universelles Symbol, nämlich die Vertikale des aufrecht auf der horizontalen Erde stehenden Menschen. Die innewohnende Polarität erzeugt Spannungen, die zu einem Ausgleich drängt. Mann und Frau, Geist und Materie sind Polaritäten, die im geistigen Sinn zur Kreuzesform werden, und allem Christlichen zugrunde liegt.
“Liebe in Zeiten der Corona“ vereint nicht nur das männliche und weibliche Prinzip mit dem rechten Winkel als Gestaltungsmittel, sondern ebenso die kategorische Ablehnung des Prinzips des rechten Winkels. Das ist insofern sehr bemerkenswert, weil hier zwei Kunstauffassungen miteinander verwoben werden, die bei vordergründiger Betrachtung gegensätzlicher kaum sein können.
Ich spreche einerseits von Friedenseich Hundertwasser, der im Gegensatz zu Mondrian
den rechten Winkel als gottlos und vollkommen unnatürlich verdammte. In der Natur mit all ihrem organischen Formenschatz unsymmetrischer und geschwungener Formgebung finde ich nicht ansatzweise etwas, das mit dem zu tun hat, wie wir es in unserem Kulturkreis gewohnt sind zu leben und zu wohnen. Schauen wir uns unsere Wohnhäuser an, so fällt sofort auf, dass der rechte Winkel sich in den Grundrissen unserer Behausungen ebenso wiederfindet wie in den aalglatten, oft akribisch fein verputzten Außenfassaden sowie an den senkrecht aufragenden häuserwänden und in den Innenräumen und den Treppen. Vielen von uns ist nicht einmal bewusst, dass all dies gar keine organischen Formen sind und dennoch haben wir unser Leben darauf ein- und ausgerichtet. Geschwungene, runde Formen sind eher schmückendes Beiwerk und keine konstitutionellen Grundelemente.
Schauen wir uns Behausungen an, die Tiere errichtet haben oder auch die in unseren Augen ärmeren Völker auf der Erde. Einfache Lehmhütten afrikanischer Buschvölker oder die Iglus der Innuits haben deutlich mehr mit dem natürlichen formenschatz gemeinsam als alle Königspaläste und großen Kirchen der Welt zusammengenommen.
Die schlichten Wohneinheiten sogar in den Slumgebieten sind so gesehen natürlicher als all unsere Miet- und Eigentumswohnungen, die andere Menschen für uns errichtet haben. Wir ziehen ein in diese vorgefertigten Behausungen, und oft haben wir maximal die Wände gestrichen und vielleicht noch die Türen. Trotzdem nennen wir es unser Eigenheim.“