1. Übermalung eines Zeitungsbildes
Eine spannende Variante der abstrakten Malerei ist die Einbindung von naturalistischen Bildelementen, die durch gezielten EInsatz von Farbe den Bildraum erweitern und neu interpretieren.
Vier Menschen sitzen um einen runden Tisch und halten Abbildungen von Köpfen vor ihre Gesichter. Es bleibt unklar, ob die gezeigten Abbildungen den Personen entsprechen, die wie ein zweites Ich vors Gesicht gehalten werden.
Und vielmehr, ob diese Gesichter wie Masken wirken sollen, die wir teilweise ja alle mit uns herum tragen und nun sichtbar gemacht werden sollen.
„Wer sind wir eigentlich?“, 40x30cm, 2017
Den Prozess der Verfremdung des Bildraums lässt sich anhand dieser Fotoserie gut nachvollziehen. Mit Acrylfarben wird zunächst der Bildraum zu allen Seiten erweitert (Bild 2 und 3) und zum Abschluss mit Ölpastellkreiden der Tisch wie magisch mit dem Bildraum zum Vordergrund hin verwoben.
2. Übermalung einer kompletten Bilderserie
„Quo vadis?“ , 6-teilig, je 29x29cm, Mixed media, 2022 / 2024
Die Abbildung (linke Hälfte) zeigt den Zustand vor und (rechts) nach den Übermalungen.
Auf die Bilder im handlichen Format mit doppelter Leinwandtiefe habe ich zunächst etwas Spachtelmasse mit Steinmehl aufgetragen, bevor ich abwechselnd mit Acryl- und Aquarellfarben mehrere Schichten übereinander gelagert habe.
In einem kleinen Garagenatelier bei einem Künstlerfreund entstand an mehreren Abenden jeweils ein Bild, bis die Serie mit 6 Bildern abgeschlossen war. Eine Handvoll Frauen nahmen an dem Kurs teil, der einmal wöchentlich abgehalten wurde. Die Gegenwart dieser Menschen war für mich unerlässlich, um überhaupt malen zu können. Ich habe kaum mit den Frauen gesprochen, es herrschte eine eher ruhige Arbeitsatmosphäre.
Mir ging es zu dieser Zeit Ende 2022 überhaupt nicht gut. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt zwei längere Krankenhausaufenthalte im vorhergehenden Jahr hinter mir und zwei weitere sollten noch folgen. Zu diesem Zeitpunkt gab es nicht einmal eine exakte Diagnose, und auch die Medikamente waren noch nicht gut eingestellt.
Was jedoch unbestritten war, es handelt sich um eine psychische Krankheit.
Auf eine mittelgradige Depression folgte eine schwere Episode. Es bedeutete das Ende meiner Lehrerlaufbahn.
Mein ganzes Leben seit dem Studium war auf diese Karriere ausgerichtet. Kaum etwas war mir wichtiger. Umso schwieriger war der Abschied.
Ich finde, diese Seelenzustände sind in den 6 Bildern sehr gut eingefangen.
Die Farben drängen sich dem Betrachter auf, schreien ihm ins Gesicht.
Die Formen sind teilweise verschlungen, überlagern sich und treten auch wieder zurück.
„Quo vadis?“ – Zustand 2022
Wenn ich einen Gemütszustand benennen müsste, fällt mir als Erstes der Schmerz ein, vielleicht auch Verzweiflung, aber niemals Hoffnungslosigkeit. Gleichsam wie die Darstellung eines langwierigen Kampfes, der zu immensen Kraftanstrengungen herausfordert. Der Klang der Farben hat tendenziell auch etwas Freudvolles, Lebendiges. Hier treffen Wahrnehmung und Zuversicht aufeinander: die Qual, ebenso wie die unaufhörliche Hoffnung auf Heilung.
Ein recht spontaner Impuls hat mich im Jahr 2024 dazu verleitet, ein erstes Bild der Serie mit farbigen Tuschen und Acrylfarben zu übermalen. Es fühlte sich dann auch richtig an, alle weiteren ebenso einer Überarbeitung zu unterziehen.
Die Serie war zur Ateliereröffnung ausgestellt und hatte über der farbig gestalteten Teeküche einen prominenten Platz.
Die zackigen Formen passten nicht mehr. Es war bislang eine der wenigen bewussten Veränderungen. so als wollte ich das Vergangene zwar nicht ungeschehen, aber zumindest als ordentlich bearbeitet markieren.
Es stellte sich auch erst eine innere Ruhe ein, als alle 6 Bilder mit viel Weiß übertüncht wurden. in allen Werken ist die darunterliegende Struktur und Farbigkeit weitgehend erhalten, d.h. man kann die Ausgangssituation nach der ersten Fertigstellung gut nachvollziehen und zuordnen. Die Farben wurden vielfach lasierend aufgetragen. Dadurch erhalten die Bilder m.E. noch mehr Tiefe, aber auch eine geheimnisvolle Undurchdringlichkeit durch die wolkenartige Modulation.
Mir gefällt die neue Dominanz des Farbspektrums zwischen Blau und Weiß.
Es scheint nicht nur durch den Akt der Übermalung etwas in mir zur Ruhe gekommen zu sein.
„Quo vadis?“ – Zustand 2024